Grenzüberschreitender Datenverkehr
Vom freien Warenaustausch und von der Reisefreiheit haben alle Länder Europas wirtschaftlich profitiert. Ideen, Konzepte, Menschen und Geschäfte überschreiten heute mühelos Ländergrenzen. Beim Austausch der dafür wichtigen Fahrplan- und Echtzeitdaten hat MENTZ jetzt in der Grenzregion zwischen der Schweiz und Frankreich eine neue Datendrehscheibe entwickelt. Damit sind in Zukunft auch grenzübergreifende Fahrkartenangebote möglich.
Die Basis dafür ist die von MENTZ entwickelten System „Dynamische Datenintegrationsplattform“ (DDIP) und die „Dialoggesteuerte Informations- und Verkehrsauskunft“ (DIVA).
Pünktlich zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2019 wurde in der Region um den Genfer See (franz.: Lac Léman) das mit 230 Kilometern größte grenzüberschreitende S-Bahn-Netz Europas in Betrieb genommen. Es besteht aus sechs Linien, die unter dem Namen „Léman Express“ (LEX) unterwegs sind. Kernstück ist eine Neubaustrecke, die nun eine bessere Verbindung zwischen dem schweizerischen Genf und dem französischen Annemasse ermöglicht.
Das Netz wird in Kooperation zwischen der französischen Bahn SNCF (Société nationale des chemins de fer français) und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) betrieben. Beide Bahnen stellen dafür Züge und LokführerInnen zur Verfügung. MENTZ hat die dafür nötige Datendrehscheibe zwischen den länderspezifischen Systemen entwickelt.
Um eine optimale Fahrgastinformation zu gewährleisten, haben beide Bahnen vereinbart, Fahrplan- und Echtzeitdaten direkt miteinander auszutauschen – nicht nur für ihre eigenen Zugfahrten, sondern auch für die angrenzenden Nahverkehre, inklusive Bussen, Tram- und Seilbahnen. Dabei hat man sich auf die Verwendung der europäischen CEN-Standards NeTEx (Network Timetable Exchange) für Fahrplandaten und SIRI (Service Interface for Real Time Information) für Echtzeitinformationen geeinigt.
Da innerhalb der Schweiz die Fahrplandaten per „Hafas Raw Data Format“ (HRDF) und die Echtzeitdaten per VDV-Format ausgetauscht werden, bekam MENTZ den Auftrag, die Konvertierung zwischen den unterschiedlichen Standards vorzunehmen.
Fahrplandatenaustausch zwischen Schweiz und Frankreich per DIVA
In der schweizer Eidgenossenschaft dient INFO+ als Sammelsystem für Solldaten des öffentlichen Verkehrs aus mehreren Quellen. Die Daten werden im HRDF-Format in DIVA als Jahresfahrplan importiert. Hier gibt es dann die Möglichkeit NeTEx spezifische Elemente (z.B. die NeTEx-Angebots-Kategorie) einmalig den Daten aus HRDF zuzuordnen, damit diese dann im NeTEx Format exportiert und an die französische Bahn SNCF geliefert werden.
Aus Frankreich werden NeTEx Daten aus zweierlei Quellen geliefert: Ein Datensatz beinhaltet die Bahndaten von SNCF, der andere die Daten von diversen Busunternehmen aus der Region. Über den neu entwickelten NeTEx-Import werden beide Datensätze in DIVA importiert. Beide Datensätze werden wiederum für INFO+ bereitgestellt und ermöglichen es der SBB die grenznahen und grenzübergreifenden französischen Solldaten in ihren Fahrplan aufzunehmen.
Handshake mit der Schweizer DiDok-Schnittstelle
DiDok ist das Haltestellenverzeichnis des Schweizer Bundesamts für Verkehr und wird durch die SBB betrieben. Alle Haltestellen der Schweiz sind in dieser „Dienstellendokumentation“ (DiDok) mit einer eindeutigen ID, bestehend aus Ländersuffix und DiDok-Nummer, festgehalten. Diese Nummer wird dann auch in anderen Systemen, z.B. INFO+, verwendet. Durch die Transformation der französischen NeTEx Daten kommen neue Haltestellen ins Schweizer INFO+-System, welche in DiDok nachgetragen werden müssten. Die DiDok-Schnittstelle bietet aber nun die Möglichkeit in DIVA das DiDok System direkt anzusteuern. So lässt sich zum Beispiel kontrollieren ob eine Haltestelle bereits in DiDok vorhanden ist oder auch direkt nach DiDok übertragen. Dann wird der Haltestelle eine eindeutige ID zugewiesen.
Steuerung der Prozesse
Alle Prozesse, vom Holen der Daten bis zur Lieferung der transformierten Daten, wird über den MENTZ DIVA-Workflow konfiguriert. Der DIVA-Workflow erlaubt es, Prozesse zu definieren und bei Bedarf einfach zu ergänzen. Zum Beispiel können zu jedem Prozess E-Mail Benachrichtigungen integriert werden. Das reduziert den Aufwand beim Kontrollieren der Daten und Datenflüsse erheblich.
Hosting in der AWS-Cloud
Das gesamte Projekt wird von MENTZ als SaaS-Lösung (Software as a Service) angeboten. MENTZ übernimmt hierbei die technische Betriebsführung. Die Umsetzung erfolgt Cloud-basiert. Die Software wird mit Hilfe von durch Amazon Web Services (AWS) bereitgestellten Rechnern und Diensten betrieben.
Zur Absicherung des Echtzeitdaten-Austausches über das Internet wurde zusätzlich zur bestehenden Möglichkeit über VPN-Tunnel das OAuth-Verfahren implementiert.
Echtzeitdatenaustausch per MENTZ DDIP
Die SBB betreiben die landesweite Echtzeitdaten-Plattform „CUS“ (Customer System). Die MENTZ DDIP bezieht die Echtzeit-Daten für die komplette Schweiz und stellt sie dem französischen Partner-System der SNCF zur Verfügung. Auf SNCF-Seite gibt es zwei Quellsysteme für Echtzeit: Eines für die Zugdaten – dieses wird direkt an CUS angebunden – und eines für die Busdaten. Letzteres muss auf SNCF-Seite noch implementiert werden und wird in Zukunft als Quelle via DDIP an CUS angebunden.
Wandlung der Daten zwischen den Formaten
Um Fahrplanauskünfte mit Echtzeitdaten zu versorgen, gibt es in VDV den Prozessdatendienst für Ist-Daten AUS und in SIRI den Estimated Timetable Service (ET). In der DDIP kann pro Kopplungspartner das Eingangs- bzw. Ausgangsformat definiert werden. Die eingehenden Daten werden in ein internes Datenmodell gewandelt und können dann am Ausgang in das für den Empfänger passende Format gewandelt werden. Da sich die Formate SIRI und VDV in manchen Details unterscheiden, wurden Verfeinerungen im Datenmodell der DDIP vorgenommen, um eine möglichst exakte Wandlung vorzunehmen. Da sich das VDV-Format in den letzten Jahren im Vergleich zu SIRI schneller weiterentwickelt hat, gibt es auch VDV-Informationen, die in SIRI nicht übermittelt werden können. Um dies in Zukunft zu ermöglichen, setzt sich die SBB mit Unterstützung von MENTZ im SIRI-Standardisierungsgremium dafür ein, die SIRI-Norm entsprechend zu erweitern.
Einfache Transformation durch definierte Regeln
Um die SIRI-Echtzeitlieferungen möglichst passend zu den NeTEx-Daten zu machen, müssen die per VDV gelieferten Metadaten gewandelt werden. Dazu ein Beispiel: Die VDV-Halt-ID lautet „858834102“. In NeTEx und somit SIRI wird die Haltestelle als„ch:1:ScheduledStopPoint:858834102“ bezeichnet. Normalerweise müsste die Transformation durch eine arbeitsintensive Pflege von Umschlüsselungstabellen geschehen. Einfacher geht es aber durch ein neu entwickeltes Feature in der MENTZ DDIP, das die Definition von exakten Regeln erlaubt, wie die Daten zu wandeln sind. In diesem einfachen Fall besagt die Regel: „Setze ‚ch:1:ScheduledStopPoint:‘ vor die Halt-ID“. Es sind aber auch komplexere Regeln über mehrere Metadaten hinweg möglich.